Die faschistischen Staaten von Amerika – In „The Change“ schildert Jan Komasa das Ende der US-Demokratie

Nur geringfügig wurde das vertraute Bild der US-Flagge verändert. Das blau unterlegte Feld mit den fünfzig Sternen der verschiedenen Bundesstaaten wurde von links oben in die Mitte gerückt und ist nun umzingelt von den weißen und roten Streifen. Ein Symbol der nationalen Einheit soll diese modifizierte Fahne sein, die in Jan Komasas „The Change“ zuerst ein Buchcover ziert, dann vor einer wachsenden Zahl von Eigenheimen und schließlich auf den Dächern von Regierungsgebäuden weht.
Über fünf Jahre hinweg verfolgt der Film den Systemwandel in den USA von der freiheitlichen Demokratie hin zu einem faschistischen Staat. Als das Drehbuch geschrieben wurde, sollte die Story wohl als Warnung verstanden werden. Aber die politische Realität in den USA weist mittlerweile erschreckend viele Parallelen zur fiktionalen Zukunft dieses Filmszenarios auf.
„The Change“ erzählt von diesem dramatischen Wandel nicht aus der Sphäre von Macht und Politik, sondern aus der Perspektive einer Familie, die durch die Entwicklung auseinandergerissen wird. Es beginnt mit der silbernen Hochzeit, die das Ehepaar mit der Familie und einem großen Freundeskreis feiert.
Liz, neofaschistische Ideologin, zu der Georgetown-Professorin Ellen
Ellen Taylor (Diane Lane) ist Professorin an der angesehenen Georgetown Universität, ihr Mann Paul (Kyle Chandler) betreibt ein florierendes Restaurant in Washington, D.C.. Das geräumige Haus am Potomac River, in dem die beiden vier Kinder großgezogen haben, strahlt familiäre Stabilität aus.
Die älteste Tochter Anna (Madeline Brewer) hat gerade als politisch provokante, queere Stand-Up-Comedienne ihren Durchbruch. Die jüngere Tochter Cynthia (Zoey Deutch) und ihr Mann Rob (Daryl McCormack) haben sich als Anwälte auf Umweltrecht spezialisiert.
Und die jüngste Tochter Birdie (McKenna Grace), die noch bei den Eltern wohnt, interessiert sich für Biologie. Einzig Sohn Josh (Dylan O‘Brien) kann als angehender Science-Fiction-Autor nicht wirklich Fuß fassen. Er hat seine neue Freundin Liz (Phoebe Dynevor) mitgebracht, die zu Beginn des Films vor dem Toilettenspiegel mit einem aufgesetzten Lächeln die Begrüßungsphrasen für die zukünftigen Schwiegereltern einübt.

In ihr erkennt Ellen schon bald eine frühere Studentin, die durch antidemokratische Seminararbeiten aufgefallen ist und exmatrikuliert wurde. Ihre Ansichten hat Liz nun zu einem umfangreichen Manifest ausgebaut, das einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Einheit und einem antidemokratischen „Kein-Parteien-System“ fordert.
Zwei Jahre später hat sich ihr Buch mehr als zehn Millionen Mal verkauft und eine politische Bewegung in Gang gesetzt, die den Systemwechsel mit Unterstützung der dubiosen „Cumberland Company“ vorantreibt.
Josh Taylor, erfolgloser Science-Fiction-Autor und Funktionär der Diktatur
Über verschiedene Familienfeste hinweg erzählt „The Change“ von den direkten Auswirkungen eines faschistoiden Wandels auf die familiären Strukturen. Nachdem Anna auf der Bühne einem Attentat entgeht, taucht sie unter und steht ganz oben auf der Fahndungsliste der neuen Machthaber. Ellen verliert als ausgewiesene liberale Professorin ihre Stelle an der Universität und auch Pauls Restaurant gerät in finanzielle Schwierigkeiten.
Josh, der sich vom erfolglosen Schriftsteller in der Bewegung zum hochrangigen Funktionär gewandelt hat, spielt auch beim Familienessen seine Machtpositionen aus. Derweil nimmt die junge Birdie mit ihrem Freund heimlich an regimekritischen Demonstrationen teil.
Mit eindeutig metaphorischer Intension zeigt „The Change“ innerhalb eines familiären Mikrokosmos‘, wie gesellschaftliche Spaltung den Weg für faschistoide Bewegungen ebnet und mit welcher subtilen wie offenen Gewalt die neuen Machthaber ihre Gegner verfolgen.
Dabei lässt Komasa politische Konkretisierungen bewusst außen vor. Die Ideologie der Bewegung wird nur vage skizziert, es gibt keine Führerfigur und erst in der letzten Szene tauchen Uniformierte auf, die mit Waffengewalt vorgehen. Komasa exemplifiziert vor allem die psychologischen Mechanismen, die durch die politische Entwicklung bei den einzelnen Familienmitgliedern ausgelöst werden.
Das Politische ist hier gleichzeitig äußerst persönlich und darin liegt die eindringliche Stärke des Films. „The Change“ ist die erste englischsprachige Produktion des polnischen Regisseurs, der mit „Corpus Christi“ (2019) für einen Oscar nominiert wurde. Komasa kommt aus einem Land, das die nationalsozialistische Besatzung, vier Jahrzehnte Sozialismus sowjetischer Prägung und zuletzt die Demokratie zersetzende Regierungsjahre der rechtspopulistischen PiS durchlebt hat.
Diese Erfahrungen spiegeln sich in seinem dystopischen Blick auf eine faschistische Machtergreifung in den USA deutlich wieder. Mit unnachgiebiger Konsequenz zeigt „The Change“, wie rasant und mit welchen Folgen eine demokratische Gesellschaft umkippen kann – ein düsteres Szenario, an das sich die aktuellen Nachrichtenbilder aus den USA jeden Tag näher heranarbeiten.
„The Change“, Regie: Jan Komasa, mit Diane Lane, Kyle Chandler, Phoebe Dynavor, 112 Minuten, FSK 12 (Kinostart am 6. November)
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